Vom Mythos des allgemeinen Fachkräftemangels zur Realität des akuten Spezialisten-Engpasses – und was fehlende IT-Experten deutsche Unternehmen wirklich kosten.
Ein Unternehmen zu führen ist kein Spiel, von dem man einfach aufstehen kann, wenn die Karten schlecht verteilt sind. Es ist keine Party, die man verlässt, wenn die Stimmung kippt. Es ist ein täglicher Kampf – und jeder, der schon einmal in der Verantwortung stand, weiß: Man kämpft bis zum letzten Tag, bis zum letzten Euro, bis zur letzten Idee.
Die wirtschaftliche Lage brauche ich Ihnen nicht zu erklären. Sie lesen die Nachrichten. Sie spüren es in Ihren Auftragsbüchern. Sie sehen es in Ihren Bilanzen.
Aber während Sie an allen Fronten kämpfen, hat sich im Stillen eine besonders heimtückische Herausforderung entwickelt: Deutschland fällt im digitalen Bereich und in der Qualifikation von Softwareentwicklern mehr und mehr hinter seine osteuropäischen Nachbarn zurück. Eine Vorstellung, die meine Generation noch vor 20 Jahren für völlig absurd gehalten hätte.
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – aber ich kann den Begriff „Fachkräftemangel“ nicht mehr hören. Er ist so unspezifisch wie nutzlos. Es ist, als würde man von „Krankenhauspersonal“ sprechen, wenn man eigentlich Chirurgen oder Pflegefachkräfte meint. Diese Verallgemeinerung vernebelt den Blick auf die eigentliche Herausforderung.
Wir haben keinen allgemeinen Fachkräftemangel. Was wir haben, ist ein akuter Spezialistenmangel in entscheidenden Zukunftsbereichen:
Das sind keine austauschbaren „Fachkräfte“ – das sind hochspezialisierte Experten, die den Unterschied zwischen digitalem Erfolg und digitaler Bedeutungslosigkeit ausmachen.
Und genau diese Spezialisten fehlen. Nicht irgendwo, nicht irgendwann – sondern hier und jetzt.
Lassen Sie uns über Zahlen sprechen. Nicht, weil Zahlen die ganze Geschichte erzählen – das tun sie nicht. Sondern weil sie die unbequeme Realität belegen, die viele nicht wahrhaben wollen.
149.000 offene IT-Stellen in Deutschland (2023)? Eine beeindruckende Zahl – wenn man auf beeindruckende Zahlen steht. Aber was sagt uns das? Etwa so viel wie die Aussage, es gäbe zu wenig „Transportmittel“ in Deutschland, wenn eigentlich nur Rennwagen fehlen.
Die Wahrheit: Wir haben keinen generellen IT-Personalmangel. Wir haben einen akuten Mangel an Spezialisten, die den Unterschied machen. An Menschen, die nicht nur theoretisch verstehen, wie Technologie funktioniert, sondern sie produktiv einsetzen können.
17.643 frische Informatik-Absolventen pro Jahr klingen nach einer Lösung. Sind sie aber nicht. Man kann heute einen Informatik-Master machen, ohne eine Zeile produktiven Code geschrieben zu haben. Theory of Computation, Gender Studies in IT oder Diskrete Mathematik – alles ehrenwerte Disziplinen. Aber werden Sie damit Ihr nächstes SaaS-Produkt entwickeln? Wohl kaum.
Die Nachfrage nach echten IT-Spezialisten steigt jährlich um 8,8%. Die Zahl geeigneter Absolventen? Bestenfalls stagnierend, realistisch betrachtet: für praktische Zwecke sinkend.
7,7 Monate. So lange dauert es im Durchschnitt, eine IT-Position in Deutschland zu besetzen.
Während Sie noch Bewerbungsgespräche führen, hat Ihr Wettbewerber die Lösung bereits implementiert, die Ihre Kunden sich wünschen.
Dabei stehen Sie längst im internationalen Wettbewerb. Während Sie auf Ihren Spezialisten warten, haben Ihre Konkurrenten längst gehandelt.
Vielleicht sitzen sie nicht einmal in Silicon Valley, sondern in Warschau, Bukarest oder Prag. Dort, wo die Verfügbarkeit qualifizierter Entwickler höher ist, die Einstellungsprozesse schneller sind und die bürokratischen Hürden niedriger.
Die unbequeme Wahrheit: In der Zeit, in der Sie einen Spezialisten in Deutschland suchen, haben Ihre osteuropäischen Wettbewerber bereits drei eingestellt – und sind Ihnen einen Produktzyklus voraus.
Sprechen wir über Geld. Nicht über die Zahlen, die in Stellenanzeigen stehen. Nicht über die Summen, die in Verträgen auftauchen. Sondern über die tatsächlichen Kosten, die ein Softwareentwickler in Deutschland verursacht.
Die Kosten, die Sie spüren, aber selten zusammenrechnen. Die Kosten, die in keiner Budgetplanung vollständig erfasst werden. Die Kosten, die erklären, warum internationale Wettbewerber mit scheinbar gleichen Ressourcen deutlich effizienter agieren können.
Beginnen wir mit dem Offensichtlichen – den Gehältern:
Beachtliche Summen. Aber sie sind nur die Spitze des Eisbergs.
Denn zu diesen Bruttogehältern kommen Kosten, die in keiner Stellenanzeige auftauchen:
Und dann ist da noch die entscheidende Zahl: 4 Jahre. So lange bleibt ein IT-Spezialist durchschnittlich in einem Unternehmen.
Rechnen wir das für einen durchschnittlichen Senior Software-Entwickler durch:
Macht in Summe: 479.274 € für vier Jahre. Oder 119.819 € pro Jahr.
Für die Spezialisten in KI oder Cloud steigt diese Summe noch einmal deutlich an – auf etwa 140.000-150.000 € jährlich.
Diese Kosten muss ein Entwickler durch seine Arbeit erwirtschaften – sonst machen Sie mit jedem Spezialisten, den Sie einstellen, Verlust.
Und dabei haben wir noch nicht einmal über Arbeitsplatzkosten, Hardware, Software-Lizenzen, kontinuierliche Weiterbildung oder Krankheitsausfälle gesprochen.
Die unbequeme Wahrheit: Die meisten Unternehmen verstehen nicht, was ihre Entwickler wirklich kosten. Sie sehen das Gehalt, multiplizieren es mit einem vagen Faktor für „Overhead“ und glauben, damit die Vollkosten erfasst zu haben. Die Realität ist komplexer. Und teurer. Die Suche nach den raren IT-Spezialisten wird so nicht nur zum Geduldsspiel, sondern auch zu einer enormen finanziellen Belastung. Viele Unternehmen geraten dadurch ins Hintertreffen – und ahnen oft nicht, dass das System selbst ihnen weitere Steine in den Weg legt. Im nächsten Teil beleuchten wir, wie der „regulatorische Albtraum“ in Deutschland die Situation für IT-Unternehmen zusätzlich verschärft und dringend benötigte Flexibilität verhindert.